Friday, March 29, 2024
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EDITORIAL: Der beispiellose Flächenband im Iran

Der Iran erlebt die größte politische Erhebung seit der Revolution von 1979. In mindestens 165 Städten sind gewaltige Proteste ausgebrochen; sie fordern den Wechsel des Regimes und skandieren: „Tod dem Diktator!!“

Die Demonstranten haben es geschafft, hunderte von Regierungszentren, Außenposten der Sicherheitskräfte und staatliche Banken, Tankstellen und Seminare zu übernehmen bzw. zu zerstören. Das Regime verlegt sich auf brutale Repression. Es hat mindestens 251 Demonstranten getötet und noch erheblich mehr verhaftet. Ferner hat es das Internet des Iran vollständig geschlossen und so die Proteste daran gehindert, daß ihre Kenntnis ins Ausland gelangt.

Obwohl die Demonstrationen, die am 15. November 2019 begannen, durch eine Verdreifachung der Benzinpreise veranlaßt wurden, wurden innerhalb von 24 Stunden die Sprechchöre rein politisch. Die Iraner skandieren auf den Straßen des Iran: „Tod für Khamenei!“ und „Tod für Rouhani!“ Sie wollen den Wandel des Regimes.

Die Ausmaße dieses Ereignisse sind einzigartig. Allein in den ersten sechs Tagen breiteten sich die Demonstrationen in mehr als 148 Städte aus und erreichten fast alle Provinzen des Iran. Die Demonstrationen setzten Polizeireviere und Büros der Vertreter des Höchsten Führers in Brand. Die Zahl der Unglücksfälle geht in die tausende. Die Demonstrationen erschreckten Khamenei so sehr, daß sein Regime mehr als 7000 Demonstranten verhaftete und die größte Internet-Blockierung in der Geschichte des Iran anrichtete. Volle fünf Tage lang blieb das Internet im Iran geschlossen. Das Regime behauptet nun, einen gewissen Zugang zu erlauben, doch immer noch bleibt das Land der Welt in hohem Maße verschlossen.

Die Situation im Iran war reif für einen solchen Aufstand. Der NWRI sagt schon lange, daß der Iran einem Pulverfaß gleicht; das Regime erhält vom Volk so gut wie keine Unterstützung; es ist unfähig und nicht gewillt, die sozialen Krisen zu lösen. Der iranischen Gesellschaft widerstrebt die Art, in der es das nationale Vermögen auf die regionalen Kriege im Irak, im Libanon, in Syrien und im Jemen verschwendet und die Grunddienstleistungen im eigenen Lande verweigert. Die Iraner sind gegen das Programm der Mullahs zum Bau von Nuklearwaffen vollständig eingenommen, dessen Ziel nur darin besteht, das Leben des Regimes zu verlängern und das zu internationalen Sanktionen geführt hat. Seit Jahrzehnten profitiert es von der Beschwichtigungspolitik des Westens. Das Nuklearabkommen von 2015 – besser bekannt unter dem Namen JCPOA – war wohl seine größte Lebenshilfe. Doch die entsprechende Strategie ist vorbei, denn die Regierung der Vereinigten Staaten hat ihre Politik geändert. Größere Demonstrationen in den Nachbarländern Irak und Libanon fordern die Vertreibung des iranischen Regimes von den Ländern, die es einst in einem „Islamischen Reich“ zusammenführen wollte. Heute stöhnt es unter den internationalen Sanktionen, hat kein Geld und keinen Spielraum mehr. Doch hinzu kommt ein interner Faktor.

Die Demonstrationen wurden organisiert von den Widerstandseinheiten der wichtigsten demokratischen Oppositions-gruppe Organisation der Volksmojahedin des Iran (PMOI), auch bekannt als Mujahedin-e Khalq (MEK). Die Widerstandseinheiten der MEK setzten ihr Leben aufs Spiel, um überall im Lande die Demonstrationen auf Spur zu halten. Sie beginnen mit einer simplen Straßensperre oder einem riskanten Sprechchor auf dem belebten Pflaster. Mit jedem Funken steigert sich die Bereitschaft des Publikums, das das Regime verabscheut, sich dem Demonstrationen anzuschließen. Das Regime hat inzwischen die Revolutionsgarden (IRGC), die paramilitärische Bassij, die repressiven Staatlichen Sicherheitskräfte (Polizei) und das Ministerium für Nachrichten und Sicherheit (MOIS) mobilisiert, um die Demonstranten auf den Straßen oder in ihren Wohnungen zu töten oder zu verhaften.

Vor drei Jahren gab Maryam Rajavi, die gewählte Präsidentin des NWRI, eine Antwort auf die Frage, wie das iranische Volk den Wechsel des Regimes zu Wege bringen wird.

„Unsere Antwort lautet: mit 1000 Ashrafs, d. h. tausend Zentren des Kampfes gegen die religiöse Diktatur.“

Der Widerstand im Iran ist sehr beschäftigt mit dem Bau dieser 1000 Kampfzentren; selbst die Medien des Regimes haben während der jüngsten Unruhen detailliert darauf hingewiesen.

„Das Betragen der Aufrührer in der Szene von einigen Städten zeigt, daß diese Leute gegenüber früheren Ereignissen (von 2017) ihre Methoden drastisch verändert haben“ – so die Nachrichtenagentur Fars, die mit den Revolutionsgarden (IRGC) verbunden ist, am Montag. „In drei Schichten wurden Gewalt stiftende Zellen arrangiert“ so Fars, die fortfährt: „Bei den jüngsten Ereignissen haben sich die ausgebildeten Leute in Gruppen von fünf bis sieben Personen zusammengeschlossen.“

„In der ersten Schicht sind starke Männer aktiv. Sie werden von anderen beschützt, die – in der zweiten Schicht – auf Motorrädern sitzen. Doch in der dritten Schicht befinden sich junge Frauen, deren Aufgabe darin besteht, die Leute zum Anschluß zu ermutigen.“

Keine Hilfe, keine Beschwichtigung von seiten westlicher Regierungen – dabei sind sie im Vergleich mit der Unruhe von 2017 ziemlich schweigsam – und keine Spiele der Art „Reformisten versus Hardliner“ kann den Schmerz des Regimes noch lindern. Auch die Kriege und Verbrechen im Irak, im Libanon und Syrien, das Nuklearprogramm des Regimes, die Art, wie es die Ölquellen ausplündert oder seine Agenten in Zivil und die Menge der Mietlinge des Geheimdienstministeriums vermögen es nicht. Wirklich, die Ereignisse im Irak und im Libanon lassen niemanden im Zweifel über die geschwächte Stellung der Mullahs in der Region; sie können nur ähnliche Entwicklungen im eigenen Lande einleiten.

Die religiöse Diktatur des Iran hat das Ende der Fahnenstange erreicht. Heute hört man die Schreie des iranischen Volkes auf den Straßen von Teheran, Isfahan, Kamyaran, Sirjan, Behbahan, Shiraz, Marivan, Bukan, Karaj, Khorramshahr und Mashhad. Sie rufen: „Diktator, Schande über dich, lassen Sie unser Land in Ruhe!“ Sie skandieren: „Die Mullahs müssen verloren gehen.“

Die härteste Repression, die das Regime ausüben kann, wird nur noch kurze Wirkung erzielen. Die Iraner sind auf die Straße gegangen, weil das Regime ihnen ihre Freiheit, ihren Lebensunterhalt und ihre Zukunft gestohlen hat. Der Iran sitzt auf einem Meer von Öl, doch viele normale Iraner sind gezwungen, ihre Nieren und andere Körperorgane zu verkaufen, um durchzukommen. Sie haben nichts mehr zu verlieren. Und sie erkennen: Das Mullah-Regime ist die Ursache ihres Leides. Daher werden sie auf der Straße bleiben, und wenn sie davon vertrieben werden, bald wiederkommen.

Maryam Rajavi hat die internationale Gemeinschaft aufgefordert, die Verbrechen des Regimes zu verurteilen und das Recht ihres Volkes anzuerkennen, den religiösen, mörderischen Faschismus, der den Iran beherrscht, zu stürzen. Die Regierungen müssen alle Erwägungen und Rücksichten gegenüber dem Regime beiseite setzen. Sie sollten ein sofortiges Aufhören der Tötungen und Verhaftungen verlangen. Wenn das Regime nicht willfährig ist, müssen sie bereit sein, Sanktionen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zuzulassen. Der Sicherheitsrat muß die Führer des Regimes zu Verbrechern erklären, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen. Sie müssen wegen ihrer massiven Repression und ihrem Blutvergießen zur Rechenschaft gezogen werden. Die internationale Gemeinschaft muß den von den Mullahs auf das Internet ausgeübten Terror entschieden verurteilen und dem Volk des Iran helfen, diese unmenschliche Blockade zu überwinden.