Friday, March 29, 2024
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Iran, Lobbyarbeit für die Scharia

Von Dr. Aziz Fooladvand

Liest man den Artikel von Frau Luisa Hommerich im Zeit-Magazin vom 28.10.2021 mit der Überschrift „Endlich frei“, stellt man flugs die fehlende journalistische Ethik und ebenso die mangelnde Seriosität fest. Der Artikel macht die iranische oppositionelle Volksmudschahedin zur Zielscheibe. Die publizistischen Prinzipien sollten der Verfasserin des erwähnten Artikels bekannt sein:
• Wahrhaftigkeit in der Darstellung, Objektivität durch emotionale Distanz
• Neutralität über Konflikte
• Sorgfalt bei der Recherche, Achtung der Menschenwürde,
• Trennung von Redaktion und Propaganda um nur einiges zu erwähnen.

Im Konflikt zwischen den Iranern und dem schiitischen Scharia-Staat ergreift die Journalsitin offenkundig Partei für ein religiöses Herrschaftssystem, das im Inland unbeliebt und im Ausland isoliert ist. Die Unbeliebtheit der paternalistischen Machtpyramiden, deren Herrschaftslegitimierung auf einer vormundschaftlichen Beziehung basiert und ihrem System göttliche „moghadas“ [„heilig“] Attribute zuschreibt, hat Dutzende nachvollziehbare sozio-politische Gründe.

Erstaunlich ist jedoch, dass Frau Hommerich, die selbst demokratische Werte in Europa genießt, in einer pluralistischen Gesellschaft ihren Sozialisationsprozess vollzogen hat, im Kindegarten und während ihrer schulischen sowie universitären Bildung mit den Begriffen wie Empathie, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Zivilcourage kennengelernt hat, Sympathie für ein despotisches religiöses Herrschaftssystem zeigt. Demokratische Werte sind gut, jedoch nicht für Iraner. Für sie attestiert die Journalsitin „Geduld“ und Hoffnung auf die sogenannte „Grüne Bewegung“, die schon längst tot ist.

Diese Frage ist berechtigt: Was hat die deutsche Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten falsch gemacht, dass sich die jungen Menschen vom radikalen Gedankengut begeistern lassen. Warum konnte die europäische Gesellschaft die jungen Menschen nicht für Humanismus, für große europäische Werte und Ideen gewinnen? Stattdessen werden die jungen Europäerinnen und Europäer von den radikalen Lesarten der islamischen Gelehrten des 13. Jahrhunderts begeistert. Dieses Phänomen ist leider auch bei jungen europäischen Konvertierten zu beobachten, die von salafistischen Szenen angeworben werden.

Die Experten warnen vor der schleichenden Radikalisierung der jungen Menschen im Zeitalter der totalen Ökonomisierung der Welt. Die Welt ist sehr kompliziert geworden. Eine einfache Antwort auf die komplizierten vielschichtigen Themen und ein einfaches Weltbild gewinnen an Attraktivität. Zum Repertoire der religiösen Radikalisierung zählen Symbole und Erkennungszeichen wie z.B. ein typisches äußeres Erscheinungsbild und Kommunikationskultur sowie das Vokabular und die Art der Begründung. Die Salafisten malen ein einfaches Schwarz-Weiß-Bild: Ungläubige und Gläubige, „kafir“ und „Muslim“, Hölle und Paradis. Die Welt wird gespalten in zwei große Lager: Die Guten und die Bösen.

Von einer Reihe Indizien lässt sich die offene Sympathie von Frau Hommerich für dieses einfaches Weltbild herauskristallisieren: Für sie ist das verhasste menschenverachtende Regime in Teheran ein System, das von „Bösen Kräften“ wie Amerika und Israel geschwächt wird. Innere o.g. Faktoren werden verharmlost oder gar ausgeblendet.

Dass die Journalisten, Rechtsanwälte, Gewerkschaftler, friedvolle Demonstranten, Studenten, Sportler, Künstler, Intellektuelle usw. unter dem Mullahs-Regime ohne einen fairen Prozess in Haft sitzen, der körperlichen und psychischen Folter ausgeliefert sind und trotz internationalem Aufruf zur sofortigen Freilassung hingerichtet werden, scheint für Frau Hommerich ein normales Prozedere zu sein.

Dass das Regime das Existenzrecht Israel verneint, Holocaust in Frage stellt, den gesamten Nahen Osten mit seiner hegemonialen Bestrebung destabilisiert hat, die radikal islamischen Kräfte ideologisch, finanziell und politisch unterstützt, scheint an ihr spurlos vorbeizugehen.

Die Perversität und Brutalität des „islamischen Strafgesetzes“ (ghisas) des Mullahs-Systems erweckt in der Journalsitin Frau Hommerich kaum Empathie für die mutmaßliche Täter im Iran. Das Regime sorgt immer wieder für grausame Schlagzeilen auch unter den von Frau Journalsitin glorifizierten „liberalen“ Flügel des „welayat-e faghi“-Systems (Absolute Herrschaft des Rechtgelehrten): „Die 42-jährige Zahra Ismaili hatte beim Warten auf den Galgen einen tödlichen Zusammenbruch erlitten, als sie mitansehen musste, wie vor ihr im Morgengrauen 16 Männer erhängt wurden. Dennoch wurde ihr lebloser Körper an den Strick gebunden.“ So berichtet „Blick“ am 25.02.2021.. Die im Strafgesetzbuch vorgesehene und bis dato etliche Male vollzogene Bestrafungen wie Handabhacken, Auspeitschung in der Öffentlichkeit, Erhängen an Baukränen, entwürdigende öffentlichen Vorführung der jungen Straftäter durch die Straßen werden von Frau Hommerich nicht wahrgenommen.

Die Bilanz der Menschenrechtslage auch unter dem angeblichen Reformer und den Köpfen der „Grünen Bewegung“, die von Frau Hommerich überschwänglich gelobt werden, ist desaströs. Unter Hassan Rouhani (dem Staatspräsident bis August 2021) wurden im Iran 4047 Menschen hingerichtet. Der Fall Nasrin Sotudeh ist zweifelsohne „nur einer von unzähligen, die die diktatorische Natur des Gottesstaates zur Schau stellen.“ (NZZ, 13.03.2019). Die Mullahs ignorieren internationale Normen und die Reaktionen der Weltgemeinschaft, auch die von dem Parlament der Europäischen Gemeinschaft. Trotz der scharfen Verurteilung des unangemessenen harten Urteils gegen Nasrin Sotoudeh und der Einschüchterungsmaßnahmen gegen ihren Ehemann bleibt die mehrmals in den Hungerstreik getretene mutige Anwältin in Haft.

Diese außergewöhnliche starke Menschenrechtlerin sollte die Journalsitin Hommerich als Vorbild nehmen.

Dass mafiaähnliche Banden die gesamte Machtstruktur sowie den Wirtschaftssektor die iranische Gesellschaft usurpieret und stolzen Einwohner eines reichen Landes in den Ruin getrieben haben, so dass dreißig Millionen unter der Armutsgrenze veggitieren, ruft bei der Journalsitin Gleichgültigkeit hervor. Dass die religiös legitimierte Prostitution im „Gottesstaat“ schon längst legalisiert und etabliert ist und viele sozialschwache Familie in diesen Sumpf getrieben worden sind, erweckt bei Frau Hommerich keine Aufmerksamkeit.

Dass der Nepotismus und die Veruntreuung der öffentlichen Gelder in astronomischer Höhe und pathologische Korruption die iranische Gesellschaft stagniert haben und Millionen Iraner in vollständigen finanziellen, gesundheitlichen oder moralischen Zusammenbruch, gebracht haben, öffnen dieser Journalsitin die Augen nicht.

Dass die Mullahs mit dem modernen Staat als ein Gemeinwesen („res publica“), das durch den gegenseitigen Willen seiner Bürgerinnen und Bürger konstituiert und von diesem gegenseitigen Willen getragen wird, fremd sind, ist Frau Hommerich gleichgültig. Dieses Herrschaftsverständnis unter dem Mantel der Religion weist keine Anpassungsfähigkeit im 21. Jahrhundert auf. Die Staatskonzeption der „welayate faghi“ geht von Unmündigkeit der „Untertaten“ aus und beruft sich nicht auf die Legitimation durch die Bürger. Die Islamische Republik Iran versteht sich als ein „dolat-e emam-e saman“, d.h. der Staat des im 09. Jahrhundert in die Verborgenheit geratenen 12. Imams Mahdi, der nach der schiitischen Orthodoxie am Ende der Zeit wiederkommt und für die Gerechtigkeit auf der Erde sorgen werde.

Dieses religiöse Staatsmodell hat in den letzten Jahrzehnten die iranische Gesellschaft tief zerlegt. Die staatlich geführte Exklusion und das Konzept der Dichotomie „khodi wa gheir-e khodie“, (Dazugehörige und Nicht-Dazugehörige oder Loyalen und Nicht-Loyalen) spaltet die religiös und ethnisch heterogene iranische Gesellschaft. Die religiös intolerante Ausgrenzung der breiten Masse wird mit Härte und massive Menschenrechtsverletzung in allen gesellschaftlichen Sektoren vorangetrieben. Die „Dazugehörigen“ (khodi) sind jedoch eine magere Minderheit, die mit fast allen Privilegien ausgestattet, in der Machtpyramide integriert sind und davon profitieren.

Die Corona-Politik der Mullahs-Administration ist ein Fall für den internationalen Strafgerichtshof. Die Iraner nennen die Corona-Politik des Mullahs-Regimes „Völkermord“. Vertuschung, fehlende Transparenz, Verheimlichung, Missmanagement, fehlende medizinische Versorgung jedoch für die breite arme Masse und Korruption haben die „Corona-Krise“ verursacht. Misstrauen und Wut gegen das Regime machen sich unter der Bevölkerung erkennbar. Der iranische Soziologe Mohammad Fazel stellt fest: „die iranische Gesellschaft passiert die Schwelle der Unzufriedenheit zu Wut und Hass“.

Warum Frau Hommerich in einer ungewöhnlich energischen Art gegen den Nationalen Widerstandrat Iran (NERI) und Volksmudschahedin (MEK) als Erzfeind dieses ideologischen despotischen Herrschaftssystems agiert und Ressentiment schürt, bleibt zu klären.
Warum sie sich überhaupt in Auseinandersetzung zwischen den Iranern und dem unbeliebten „Gottesstaat“, den sie entmachten wollen, einmischt und im Umkehrschluss für die Despoten Partei ergreift, dazu gibt es eine Reihe von Vermutungen.
Der NWRI erhebt gegen sie schwerwiegende Anschuldigungen. Die Journalistin stünde mit den radikalen Basiji-Milizen und Revolutionsgardisten in Kontakt. Zu den Aufgaben der Basiji-Milizen zählen u.a. die Verfolgung, Festnahme und Unterdrückung der Opposition. Die berüchtigte paramilitärische Basiji wird in Verfolgung der religiösen, ethnischen Minderheiten und Dissidenten vom „Gottesstaat“ in Stellung gebracht. Die energische Diffamierungskampagne gegen die iranische Opposition im Ausland bestätigen die Annahme, dass sie im Sinne des Gottesstaats handelt.

Welche Interessen verfolgt Frau Hommerich wenn sie die Atmosphäre gegen die oppositionellen Exiliraner vergiftet und das Dämonisierungsprojekt der Mullahs stellvertretend im Ausland vorantreibt. Ist Frau Hommerich zum radikalen schiitischen Islam übergetreten? Ist der „Gottesstaat“ für sie eine identitätsstiftende Größe geworden? Religionsfreiheit ist jedoch das demokratische Recht jedes Menschen und ist verfassungsmäßig geschützt. Aber die Verunglimpfung der demokratischen Exil-Opposition des Mullahs-Regimes darf nicht hingenommen werden.

Was ist die Intention von Frau Hommerich, die so unermüdlich gegen die weltweit anerkannte iranische Opposition Partei ergreift. Welche Interessen verfolgt sie dabei? Darf eine unabhängige Journalistin für ein despotisches international isoliertes ideologisches Regime offen Lobbyarbeit treiben? Gravierend verletzt sie bei ihrer Berichtserstattung die Fundamente der journalistischen Prinzipien. Wenn sie über die Volksmudschahedin Iran berichtet prasseln bestialische Worte. Der Leser vermisst fehlende Objektivität und emotionale Distanz, Sachlichkeit und Unvoreingenommenheit. Befremdens auslösend ist jedoch, dass unter Verletzung des seit 1874 in Deutschland geschützten Rechtes auf Gegendarstellung der Exilopposition ignoriert und das Pressegesetz massiv missbraucht wird. Die Stellungsnahmen der Exilopposition wurden bis dato nie veröffentlicht.

Gerade der Kampf gegen eine dogmatische Machstruktur, die seit mehr als vier Jahrzehnten nur Hass, Gewalt, Expansionspolitik und Radikalisierung verbreitet, sollte von den Diversität bejahenden Kräften gelobt und unterstützt werden. Unsere Haltung zur Diversität ist eine aktive und bejahende Kultur des täglichen Miteinanders. Mit dieser Kultur werden Iraner den Gottesstaat ein für alle Mal entmachten und eine demokratische Staatsordnung installieren.

Dem von Frau Hommerich getriebenen Ressentiment gegen Exil- Opposition mag das Gefühl der Ohnmacht des Regimes gegenüber erlittener Niederlage im Kampf gegen die Opposition zugrunde liegen: Zur Zeit sitzt ein Funktionär des Mullah-Regimes wegen Kriegsverbrechens und Mordes in den 80er-Jahren vor dem Bezirksgericht in Stockholm auf der Anklagebank. In einem anderen Prozess wurde der „Diplomat“ der Mullahs von einem Gericht in Antwerpen zu 20 Jahren Haft wegen eines vereitelten Sprengstoffanschlags auf eine Großkundgebung von iranischen Exil-Oppositionellen in Frankreich im Jahr 2018 verurteilt.
Ist das geschürte Ressentiment von Frau Hommerich gegen die iranische Exilopposition eine geplante Ablenkung von Krisen, die das Regime in Teheran sowohl innenpolitisch als auch international umzingelt haben?

Dr. Aziz Fooladvand ist Publizist (Der Modernisierungsprozess im Iran in den 60er Jahren als Impuls für die Entstehung des Fundamentalismus, Dr. Mohammd Mossadegh, interkulturell gelesen…) Referent (für Jugendzentren, Schulen, Jugendämter und Polizei), Experte für islamischen Fundamentalismus und ist in der Integrations- und Präventionsarbeit sowie in De-Radikalisierung der Jugendlichen tätig. Seit mehreren Jahren ist er Mitglied der Asylgruppe von Amnesty International.