Friday, March 29, 2024
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Europa hat mit Sanktionen einen guten Start hingelegt, muss aber bald die Führung des Iran ins Visier nehmen

 

Von Alejo Vidal-Quadras

In der vorigen Woche hat die Europäische Union über acht Mitarbeiter der paramilitärischen Truppen und der Sicherheits-kräfte des Iran neue Sanktionen verhängt, die mit den Menschenrechten zu tun haben. Die neuen Einfrierungen von Vermögen und Einreisebeschränkungen gelten unter anderen Hossein Salami, dem Kommandeur des Corps der Islamischen Revolutionsgarden. In der Erklärung der Europäischen Union heißt es zutreffend, Salami habe bei der Niederschlagung der Unruhen nach dem Aufstand, der im November 2019 das ganze Land überzogen hatten, eine prominente Rolle gespielt. Doch am Ende wird der Wert der besagten Sanktionen weithin von der Antwort auf die Frage abhängen, ob Europas Forderungen von Rechenschaft aufhören oder ob sie ihren Weg zur Kommandospitze fortsetzen.

Bedauerlicherweise sind die neuen Sanktionen die einzigen erheblichen Maßnahmen, mit denen die Europäische Union auf die Repression reagierte, die sich vor etwa anderthalb Jahren ereignet hat. Die lange Verzögerung spiegelt die westliche Abneigung dagegen, sich mit einem Konflikt zu befassen, der schon sechs Jahre lang anhält. Seit 2013 wurden keine weiteren Menschenrechts-verstößen mit Sanktionen beantwortet, obwohl in der fraglichen Zeit zahlreiche Verstöße begangen wurden.

Einige westliche Politiker hofften, die Wahl von Hassan Rouhani zum Präsidenten des Regimes werde in der iranischen Regierung einer Tendenz zur Mäßigung den Boden bereiten; doch die wirkliche Lage deutet nachweislich auf das Gegenteil. Seit 2013 betreibt die theokratische Diktatur eine Stärkung ihrer härtesten Prinzipien und der Art, wie sie den öffentlichen Ausdruck des Dissenses eindämmt. Die Folgen sind eine verstärkte Trennung der Geschlechter in der iranischen Gesellschaft, zahllose Gerichtsurteile gegen Frauen, die dem im Lande geltenden Schleierzwang widerstehen, zunehmende Armut und Entrechtung der Randgruppen und die Verstärkung der Kontrolle, die die Regierung auf die traditionellen Medien und das Internet ausübt.

Zu den weiteren Folgen gehört eine allgemeine Zunahme der Unzufriedenheit mit dem dem repressiven System; der Aufstand von November 2019 war ihr Höhepunkt. Ihm war im Januar 2018 ein anderer Aufstand vorausgegangen, der ebenfalls das ganze Land ergriff; er war allerdings etwas kleiner und veranlaßte das Regime zu langsamen und weniger intensiven Repressalien. Der Todeszoll dieses anfänglichen Aufstandes wurde auf mehrere Dutzende geschätzt; nach Berichten wurden einige Personen in den iranischen Gefängnissen zu Tode gefoltert. Diese Ereignisse verblaßten vor der Bedeutung des zweiten Aufstandes, bei dem das IRGC in vielen der fast 200 beteiligten Ortschaften auf die Massen der Demonstranten das Feuer eröffnete.

Unverzüglich berichtete Amnesty International, es lägen deutliche Beweise dessen vor, daß die Schützen des Regimes ihre Waffen mit fataler Intention entluden; daher überraschte es die genauen Beobachter nur wenig, daß der Nationale Widerstandsrat des Iran den Todeszoll auf etwa 1500 schätzte. Am Ende wurde diese Zahl aufgrund dreier anonymer Quellen des iranischen Geheimdienst-ministeriums von der Nachrichtenagentur Reuters bestätigt. Offiziell behauptet diese Institution der Regierung, es seien nicht mehr als 250 Menschen getötet worden, doch der NWRI hat mehr als 800 Personen namentlich identifiziert.

Unabhängige Berichte von dieser Niederschlagung treten der vom Regime unternommenen Vertuschung dadurch in den Weg, daß sie zwei Schlußfolgerungen unterstreichen: Erstens ist in bezug auf solche Menschenrechtsverletzungen der Eingriff des Auslandes notwendig, denn es liegt auf der Hand, daß das iranische Regime seine eigenen Agenten nicht zur Rechenschaft ziehen wird. Und zweitens wird das iranische Volk, wenn solche Intervention ausbleibt, ernsten Risiken ausgesetzt, denn engagierte Personen im Lande engagieren sich deutlich dafür, daß die Verbrechen des Regimes enthüllt werden, gleichviel, ob sie in der Lage oder nicht in der Lage sind, weitere derartige Verbrechen zu verhindern.

Demonstrationen im Iran: Der Aufstand von November 2019 im ganzen Lande

Mit den neuen Sanktionen entsendet die Europäische Union zumindest die Botschaft, daß sie nicht mehr gewillt ist, sich gegenüber der vom Iran betriebenen brutalen Unterdrückung des Dissensus blind zu stellen, wie sie es nach 2013 tat. Doch diese Botschaft muß verstärkt werden – sowohl dem Regime gegenüber als auch um der Bewegung der Engagierten willen, die nach einer langen Zeit relativer Ruhe während der Pandemie wieder zuzunehmen scheint.

So willkommen, wie die neuen Sanktionen der Europäischen Union auch sind, so bleiben sie doch hinter diesem Ziel zurück; es liegt zum Teil daran, daß ihre Bekräftigung sich in Grenzen hält, weil nicht klar ist, wie sie verstärkt werden und gegen wen sie sich richten sollen. Wenn Gestalten wie Hossein Salami nicht reisen dürfen oder keinen Zugang zu ihren Vermögen bei ausländischen Banken haben, mag es sein, daß ihr Leben schwieriger wird, doch das wird ihre Agenten im iranischen Regime wenig interessieren.

Doch eben diese Behörden sind gleichermaßen, wenn nicht noch mehr verantwortlich für die im November 2019 begangenen Morde, ganz abgesehen von der langen Liste der Repressionen, der Beschränkungen der Meinungsfreiheit und der Maßnahmen zur Abnahme der Lebensqualität im Iran während der letzten sechs Jahre. Auch all dies müssen westliche Politiker aufs Korn nehmen. Es ist notwendig nicht nur im Blick auf die normalen Iraner, die sich für Freiheit und Demokratie engagieren, sondern auch im Blick auf die Sicherheit ihres Volkes. Wenn der iranische Staat immer noch Grund hat, seine Straflosigkeit für intakt zu halten, so wird es Folgen haben über die Grenzen des Landes hinaus.

Dazu wäre es fast schon gekommen. Im Sommer 2018 vereitelten europäische Behörden einen Terroranschlag, der vorsah, daß während einer Versammlung iranischer Exulanten vor den Toren von Paris Sprengkörper zur Detonation gebracht würden. Zu der Menge der Teilnehmer gehörten auch hunderte politische Würdenträger, darunter Abgeordnete und Akademiker aus den Vereinigten Staaten und aus Europa. Die vier an dem Anschlag Beteiligten, darunter ein ranghoher iranischer Diplomat, wurden seitdem gerichtlich verfolgt und von einem belgischen Gericht verurteilt, doch die Führung der Europäischen Union hat von dem Vorfall kaum gesprochen; auch bei ihren Mitgliedsstaaten war es kaum besser.

Dabei handelt es sich um eine schockierende Pflichtverletzung, vor allem wenn man bedenkt, daß, wie die belgischen Ankläger mehrere Male bekräftigt haben, der Terroranschlag nicht ein Werk von Schurken, sondern von hohen Rängen des iranischen Regimes angeordnet worden war. Im Widerstand engagierte Personen gingen so weit, zu sagen, daß sowohl der Höchste Führer Ali Khamenei als auch der angeblich gemäßigte Präsident Rouhani über den Höchsten nationalen Sicherheitsrat in den Anschlag verwickelt waren. Das Gleiche gilt mit Gewißheit für die Niederschlagung des Aufstands im November 2019. Wenn westliche Regierungen es versäumen, diese Behörden zur Rechenschaft zu ziehen, dann bedeutet es, daß sie ernsthafte Menschenrechtsverletzungen stillschweigend übersehen, ob sie nun im Lande selbst oder im Ausland begangen werden.

Es besteht eine klare Alternative zu dieser Nachlässigkeit. Sie beginnt mit der Ausweitung der Sanktionen bis zu den Spitzen der iranischen Kommandokette, und sie endet erst dann, wenn das herrschende System sich definitiv für eine Änderung seines Verhaltens engagiert oder von einer unruhigen Bevölkerung gestürzt wird, die man davon überzeugt hat, daß sie, wenn die Zeit der Revolution gekommen ist, von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden wird.

Alejo Vidal-Quadras, Professor für Nuklearphysik, war Vizepräsident des Europäischen Parlaments.